Das Vertrauen in Pflegeheime schwindet
Immer wieder machen Alten- und Pflegeheime Schlagzeilen – oft leider nicht nur im positiven Sinn. Während das Wort Pflegenotstand schon mehr als abgelutscht in den Medien herumgereicht wird, werden immer mehr Stimmen des Unmutes aus den Reihen sowohl der Krankenpfleger als auch der Senioren laut, die das wesentliche Problem in den Vordergrund stellen. Allerdings fühlt sich niemand zuständig dafür, die teils haarsträubenden Missstände zu beheben.
Ich will nicht alleine sterben…
Dienstübergabe an die beiden Nachtschwestern in einem norddeutschen Pflegeheim. Der zuständige Pflegedienstleiter erläutert kurz die Vorkommnisse des Tages. Die beiden DGKS sind für 66 Bewohner zuständig – einige davon sind rund um die Uhr auf Pflege angewiesen. Schon während der Dienstübergabe ertönt bereits das erste Mal der Notfall-Alarm. Frau K. liegt im Sterben. Sie möchte nicht alleine sein. Doch die Zeit der beiden DGK-Pflegerinnen ist extrem knapp, da bleibt für Menschlichkeit keine Zeit. Eine der beiden Pflegerinnen holt ein Plüschtier aus dem Dienstzimmer und stellt Frau K. ein Effektlicht in das Sterbezimmer. Auf Psychopharmaka möchte die Krankenschwester vorerst verzichten. Sie möchte die alte Dame mit dem Plüschlöwen und dem sanften Lichtspiel so weit beruhigen, dass sie vielleicht sogar ein wenig schlafen kann. Schließlich warten noch 65 andere Bewohner im Altenheim auf ihre Tabletten, machen sich in die Hose oder irren verwirrt auf dem Gang herum… . Wenn etwas Zeit bleibt, möchte sich die Nachtschwester gerne ein paar Minuten Frau K. widmen. Falls sie dann noch am Leben ist…
Das ist Berufsalltag in deutschen Alten- und Pflegeheimen. Verzweifeltes und überarbeitetes Pflegepersonal läuft Sturm auf die zuständigen Politiker – doch von oben ist immer nur zu hören, dass alle notwendigen und vorgeschriebenen Maßnahmen zur völligen Zufriedenheit des medizinischen Prüfdienstes erfüllt sind.
„…deshalb habe ich das Bett von Herrn B. so weit vom Alarmknopf weg geschoben, dass er mal eine Zeit lang nicht dran kam, und ich mich um die Patientin Frau L. kümmern konnte, die sich eingekotet hat“, war die verzweifelte Rechtfertigung einer Pflegeassistentin, auf die Frage, weshalb sie auf die Notlage von Herrn B. so lange nicht reagiert hatte. Man hatte sich da zu zweit um 74 Bewohner zu kümmern. Ihre Kollegin war im unteren Stockwerk mit einer alten Dame zugange, die gestürzt war, und sich dabei einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen hatte… . Es dauerte, bis der Rettungsdienst kam, und so bemerkte niemand der beiden Pflegerinnen, dass Herr B. einen Herzinfarkt hatte. Er kam nicht mehr an den Klingelknopf, da man sein Bett weg gezogen hatte. „Herr B. war den ganzen Vormittag lang sehr quängelig und hat alle 15 Minuten nach uns geläutet“, bestätigt auch die zweite Pflegerin die Angabe der Pflegeassistentin. „Wir haben einfach versucht, etwas Zeit zu gewinnen, um uns auch den anderen Personen widmen zu können, und so haben wir ihn von der Wand weg geschoben, damit er nicht andauernd nach uns läutet. Dass Herr B. einen Herzinfarkt erleiden könnte, konnten wir doch nicht ahnen. Er war ein sehr anstrengender Bewohner“… .
So und ähnlich hören sich fast alle Berichte von Pflegekräfte in deutschen Alten- und Pflegeheimen an. Viele berichten von menschenunwürdigen Bedingungen, die durch absoluten Personal- und Zeitmangel entstehen würden. Oft könnten nicht einmal die ärztlichen Anordnungen für die einzelnen Personen erfüllt werden, erzählt ein Pflegedienstleiter. Patientinnen und Patienten würden dehydrieren, weil sie alleine nicht trinken könnten, und sich kaum jemand vom Pflegepersonal darum kümmern könnte, dass die vorgeschriebene Flüssigkeit auch aufgenommen werden würde. An Demenz Erkrankte würden verwirrt durch die Gänge irren, und niemand hat die Zeit, sich ihrer anzunehmen.
„…und dann hat er mir ins Gesicht geschlagen…“
erzählt eine ehemalige Altenheim-Bewohnerin. Sie sei nicht die einzige, die von diesem Pfleger bedroht und geschlagen wurde, so die alte Dame weiter. Die Überforderung, der Druck, die Zeitnot und die Intensität, die bei der Pflege von alten, schwachen und kranken Menschen nötig ist, bringt Krankenpfleger oft in tiefe Verzweiflung. Einige halten diesem Druck nicht stand, und ihre Anspannung entlädt sich dann auf genau jene Menschen, die ihrer Fürsorge bedürften. Es muss sich wirklich schnell etwas ändern, denn die Menschlichkeit ist in vielen Altersresidenzen schon vollständig abhanden gekommen. Es fehlt nicht mehr viel, und die Altenpflege läuft auf eine herzlose Abfertigungsmaschinerie hinaus, die sowohl dem Gesundheitspersonal als auch den Bewohnern ein würdevolles Miteinander absolut unmöglich macht.